Die Geschichte der Familie Niggl

 

Wasserburg am Inn

Der Nicklbräu Andreas Niggl

Andreas, Sohn des Wirts Anton Niggl aus Kirchdorf wurde am 12. Februar 1765 geboren. Er erlernte in bester Familientradition den Beruf des Braumeisters und zog um 1792 nach Wasserburg am Inn. Dort besaß er eine Brauerei, die ihm wohl sein Vater Anton kaufte. Auf alle Fälle heiratete Andreas in Wasserburg im Alter von 26 Jahren die Nothburga Obermaier, eine Tochter des Rosenheimer Bäckerehepaares Joseph und Katharina Obermaier. Das Brautpaar wurde am 28. November 1792 in der Wasserburger Stadtkirche St. Jakob getraut. Im entsprechenden Heiratseintrag in den Matrikeln der Pfarrei wird Andreas als . . . futurus civis et Braxator hie. . . d.h. als zukünftiger Bürger und Brauer von hier bezeichnet. Der Schreiber des Eintrags muss sich allerdings geirrt haben, denn laut einer Eintragung in der Kirmayrschen Chronik der Stadt Wasserburg erhielt Andreas das Bürgerrecht bereits am 4. November 1792.  In den Geburtseinträgen ihrer Kinder wird Andreas richtig als bürgerlicher Bierbräu wohnhaft in Haus Nr. 123 bezeichnet. Erstaunlicherweise wurden Andreas und Notburga aber nicht vom Wasserburger Stadtpfarrer getraut sondern von Pater Gregor Mack, dem damaligen Abt des Benediktinerklosters Rott am Inn. Trauzeuge war neben Andreas’ Vater ein gewisser Roman Pruggmoser ebenfalls Mönch aus dem Kloster Rott.

Über Abt Gregor Mack erfahren wir von Ludwig Baumann unter anderem das folgende: „Der Benediktinerpater Gregor Mack war 1759 von seiner Abtei Rott am Inn nach Kötzting als Pfarrer und Prior der dortigen Außenstelle berufen worden. Er muss ein grundgescheiter und tüchtiger Mönch gewesen sein. Siebzehn Jahre wirkte er in dieser Doppeleigenschaft in Kötzting. Als 1776 der Rotter Abt das Kloster wegen seines aufwendigen Kirchenbaus an den Rand des finanziellen Ruins gebracht hatte und resignieren musste, 26 setzten die Konventualen ihre Hoffnung auf P. Gregor im fernen Kötzting. Sie wurden nicht enttäuscht. Abt Gregor Mack (1776 – 1801) verstand es, die drückende Schuldenlast zu verringern.“ [?]

Wie es nun dazu kam, dass die beiden Brautleute nicht vom eigentlich zuständigen Stadtpfarrer sondern von eben diesem Gregor Mack, Abt eines der einflussreichsten bayrischen Klöster der damaligen Zeit getraut wurden, ist uns nicht bekannt. Allerdings scheint die Familie überhaupt recht enge Beziehungen zu den Klöstern und Kirchen der Gegend gepflegt zu haben. So legte der Benediktiner Cuno Niggl, ein Cousin von Andreas, im im Rotter Kloster die ewige Profess ab, der bereits ausführlich besprochene Joseph Niggl erhielt in eben diesem Kloster seine Ausbildung zum Optiker, und der Tölzer Bürgermeister Ignaz Niggl, ein Bruder von Andreas, war ein bekannter Streiter für die Erhaltung des dortigen Kalvarienberges und war später als Priester maßgeblich an der Wiedererrichtung des Tölzer Franziskaner Klosters beteiligt.

Ein Hausnummernverzeichnis der Stadt Wasserburg von 1796 zählt bei einer ungefähren Einwohnerzahl von 1500 Personen unter anderem 9 Metzger, 16 Bäcker, 2 Lebzelter, 7 Wagner, 13 Brauer, 8 Wirte, 3 Weinwirte und 3 Branntweiner [16]. D.h. auf lediglich 100 Wasserburger Einwohner kam eine Brauerei. Eine davon war das Nickl-Bräu unseres Andreas. Im Wasserburger Stadtmuseum wird eine Katasterkarte aus dem Jahr 1818 ausgestellt, in der das Haus 123 als Nickl-Bräu und das Haus 122 als Nebengebäude Nickl-Bräu bezeichnet wird. Die beiden Gebäude befanden sich in der damaligen Vergessenen Zeil, d.h. in der heutigen Färbergasse. Die Häuser stehen noch, ein Foto aus dem Frühjahr 2003 ist nebenstehend abgebildet.

Nun kann man der erwähnten Katasterkarte zwar entnehmen, dass die Häuser 123 und 122 zu den größeren der Stadt gehörten, nichtsdestotrotz scheint das Nickl-Bräu aber keine allzu große Brauerei gewesen zu sein. Als nämlich Wasserburg im Dezember 1800 von napoleonischen Truppen besetzt wurde, beschloss der damalige Rat der Stadt, dem Befehl des Obermarsch- Kommissariats nachzukommen und eine Vorratskasse von 4000 – 5000 Gulden anzulegen. Geht man davon aus, dass die aus der Bürgerschaft zu erhebenden Beiträge zu dieser Kasse nach dem Einkommen der Gewerbetreibenden zu entrichten waren, dann waren die beiden Bräuer Gräf und Gerbl, sowie die Lebzelterswitwe Surauer die damals wohlhabendsten Wasserburger. Sie bezahlten jeweils 400 Gulden in den Fond. Andreas Niggl wurde dagegen mit nur 100 Gulden zur Kasse gebeten. Bräuer und Bäcker scheinen während der nun folgenden französischen Besatzungszeit die Hauptleidtragenden gewesen zu sein. So wurde zwar nach wie vor Bier gebraut, sogar in noch größerer Menge, weniger günstig sah es allerdings mit der Bezahlung aus. Nach den Berichten des Landprokurators Thaler wurden sie des öfteren geplündert und verließen daher in weiser Voraussicht zeitweilig ihr städtisches Domizil, um so wenigstens körperlichen Misshandlungen zu entgehen [17].

Mitten in diesen politischen Wirren bauten Andreas und Nothburga die neuerworbene Brauerei auf und bekamen neun Kinder:

  1. Franciscus de Paula Corbinianus (*1794)
  2. Crescentia (*1796)
  3. Nothburga (1797–1797)
  4. Maria Anna (*1798)
  5. Andreas (1799–1802)
  6. Antonius (1800–1800)
  7. Joseph (1802–1863)
  8. Aloisius Andreas (1804–1804)
  9. Walburga (1807–1857)

Ungewöhnlich scheint zunächst, dass die Beiden ihren erstgeborenen Sohn nicht wie üblich nach dem Vater, sondern nach seinem Taufpaten Franziskus de Paula Greiner benannten. Franz Greiner war Tuchmacher in Wasserburg und war zusammen mit seiner Frau Brigitta auch Pate der meisten anderen Kinder von Andreas und Nothburga. Vom Verbleib dieses Sohnes sowie der Töchter Crescentia und Maria Anna ist uns bis jetzt nichts bekannt. Es ist aber anzunehmen, dass Franz als erstgeborener Sohn die Brauerei des Vaters übernommen hat. Näheres müssen weitere Nachforschungen im Wasserburger Stadtarchiv zeigen. Die Tochter Walburga blieb jedenfalls ledig und starb im Alter von 50 Jahren in Wasserburg, über ihren Bruder Joseph erfahren wir im nächsten Kapitel mehr. Bleibt noch zu sagen, dass der Nickl-Bräu Andreas 63 Jahre alt wurde und am 7.4.1829 um halb acht Uhr morgens in seinem Haus in der Vergessenen Zeil starb. Seine Frau Nothburga segnete das Zeitliche bereits neun Jahre früher am 4. September 1820.

Joseph Niggl - Vom Brauersohn zum Tagelöhner

Joseph wurde als siebentes Kind von Andreas und Nothburga am 21.10.1802 im elterlichen Haus in Wasserburg geboren. Im Gegensatz zu seinen Vorfahren wurde Josef aber nicht Wirt oder Bräuer sondern, zumindest für kurze Zeit, Landwirt.

 Wahrscheinlich spürte man damals schon den beginnenden wirtschaftlichen Niedergang der Stadt. Mit ausgelöst wurde dieser Niedergang sicherlich durch die Eröffnung der Rosenheimer Saline im Jahr 1808. Bis dahin wurde das Salz aus Reichenhall und Hallein hauptsächlich über den Landweg nach München sowie in die salzarmen Gebiete in Schwaben und Franken transportiert. Wasserburg, das direkt an diesem Weg lag, besaß seit 1439 das Privileg von jeder ankommenden Salzscheibe den sogenannten Salzscheibenpfennig zu einzubehalten. Dieser Salzscheibenpfenning war eine der Haupteinnahmequellen der Stadt. Mit der Eröffnung der Rosenheimer Saline entstand nun eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz, da das in Rosenheim raffinierte Salz natürlich nicht mehr über Wasserburg sondern direkt nach München transportiert wurde.

Was auch immer zur Entscheidung Josephs geführt hatte, begegnet er uns als Besitzer des Gaigeranwesens in Harlauf wieder. Der Weiler Harlauf, der damals zur Gemeinde Wang nördlich von Wasserburg gehörte, existiert heute allerdings nicht mehr. In dem abgebildeten Kartenausschnitt aus dem „Topographischen Atlas vom Königreiche Bayern“ findet man Harlauf am Ufer des Inns, nördlich von Bärenstaller. Im Historischen Atlas [18] wird Harlauf als „Weiler, Gemeinde Wang, 1 Anwesen Kloster Au 1/8 (Geiger)“ geführt.

Hier in Harlauf, bzw. in der Kirche in Elsbeth (in der Karte nördlich von Stadel) heiratete Joseph Niggl am 25. Januar 1830 die am 4. Oktober 1795 geborene Bauerstochter Theresia Hamberger. Theres, wie sie in den Kirchenbüchern genannt wird, stammt aus dem kleinen Dorf Hacklthal bei Kirchdorf / Wasserburg. Am 2. Oktober 1829 also noch vor der Hochzeit wurde ihr erster Sohn Michael in Wasserburg geboren. Er zog später als Schuster auf die Fraueninsel im Chiemsee und wird weiter unten noch ausführlich beschrieben. Am 23. Juni 1831 kam dann Joseph, später Maurer in Wasserburg und am 14. Oktober 1832 die Tochter Theresia zur Welt.

Wie es den jungen Bauersleuten in den nächsten Jahren in Harlauf ergangen ist, wissen wir nicht. Allerdings erscheint 16 Jahre nach ihrem Umzug, am 8. November 1846, im Wasserburger Wochenblatt die nachfolgend abgebildete Bekanntmachung. Damit ist klar, dass die bäuerliche Existenz der Familie nicht allzu lange währte, denn bereits 1839 also nur neun Jahre nach der Ansiedlung in Harlauf wird Joseph Niggl auf dem Sparkassenschein schon als ehemaliger Gaigeranwesensbesitzer bezeichnet. 1846 wohnt er mit seiner Familie offensichtlich wieder in Wasserburg und zwar zur Miete im Haus Nr. 65 in der Schmiedzeile. Möglicherweise stammen die 100 Gulden, die er damals in die noch junge Wasserburger Sparkasse eingezahlt hatte, aus dem Verkauf des Anwesens? Aus welchem Grund Joseph und Theresia den Hof in Harlauf aufgaben oder aufgeben mussten, konnte noch nicht herausgefunden werden, jedenfalls erscheint Joseph von nun an in den Kirchenbüchern nur noch als Tagelöhner zu Wasserburg.

Joseph hat in dieser Zeit also einen dramatischen sozialen Abstieg vom Sohn eines wohlhabenden Bräuers und Bürgers der Stadt zum Tagelöhner durchgemacht. Dieser Abstieg geht sogar soweit, dass der Wasserburger Magistrat mehrmals versucht hatte das Ehepaar aus Wasserburg ausweisen zu lassen. Nachdem diese Versuche nicht fruchteten, sendete der Magistrat im Herbst 1844 die Akten mit dem unten ausschnittsweise abgebildeten Gesuch an das königlich Bayrische Landgericht in Wasserburg.

Die Heimath
und den Aufenthalt der Niggl'schen Taglöhnerseheleute zu Wasserburg betreffend
1844

K.B.Landgericht Wasserburg

Die Ausschaffung der Niggl'schen Familie aus diesseitigem Weichbilde betreffend Joseph Niggl heimatberechtigter in der der Gemeinde Wald wurde am 19. August 1844 beauftragt bis heurigen Michaelis sich von hier weg, und allenfalls in seine Heimath zu begeben.

Derselbe erfüllte diesen Auftrag nicht sondern lies den Termin Michaelis verstreichen, und hat auch den letzten ihm am 2ten. . . angeordneten ... Termin zur Ordnung seiner Angelegenheit bis heute unbenutzt vorübergehen lassen. Man übersendet daher die Akten... von Nro 1 bis 5 ... zur Einsicht und fügt ergebenst bey

  1. Joseph Niggl ist arbeitsscheu und treibt sich fast beständig in Bier und Brandweinschänken herum. Nur selten wiedmet er sich anständiger Arbeit als Bothengänger, Viehtreiber
  2. Die Erziehung seiner Kinder ist sehr schlecht, dieselben fallen der Gemeinde teils durch Bettel zur Last, theils sind sie wegen Obstundanderen Diebereyen und Naschereyen hinlänglich bekannt.
  3. Arbeitet auch die Ehewirthin des Joseph Niggl zur Zufriedenheit, so trägt sie doch auch mit Schuld an der schlechten Kinder Erziehung durch Mangel an Aufsicht und gehöriger Hausordnung. Hieraus entstand der allgemeine Wunsch zur Ausschaffung dieser ohnehin nicht hierhergehörigen Familie...

Wasserburg den 22. Oktober 1846

Wie aus diesem Gesuch hervorgeht, hatte Joseph ganz offensichtlich ein Alkoholproblem. Ob dies nun der Grund oder aber eine Folge des Scheiterns in Harlauf war wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass er schlussendlich doch nicht ausgewiesen wurde. Möglicherweise konnte Joseph den Behörden erklären, dass er nur für kurze Zeit in Harlauf lebte und eigentlich in Wasserburg geboren war. Nach der Aktenlage ernährte in dieser Zeit seine Frau Therese die fünfköpfige Familie doch wie zum Hohn beschuldigt sie nun der Magistrat gerade wegen dieser Arbeitstätigkeit keine Zeit für eine ausreichende Erziehung ihrer Kinder zu haben. Dies alles erscheint aus heutiger Sicht geradezu sarkastisch, entspricht aber wohl den damals üblichen Denkweisen. Als Beispiel dafür mag noch das Sitzungsprotokoll [19] des Stadtmagistrats vom 28. März 1831 dienen, in dem die folgende Bemerkung zu finden ist: „...werden die arbeitsscheuen ledig sich hier aufhaltenden Weibsbilder beschrieben, und das Vezeichniß hievon samt den geeigneten Bemerkungen geht an das k. Landg. dahier.“ Der weitgehende Wandel der politischen und sozialen Verhältnisse seit dieser Zeit wird hier besonders deutlich. Über das weitere Leben der Beiden wissen wir nicht viel, bekannt ist nur, dass Joseph 17 Jahre nach diesem Vorfall am 12. Dezember 1863 im Alter von 61 Jahren in Wasserburg starb. Seine Frau Theresia wurde 64 Jahre alt und starb 11 Jahre später am 16. August 1874.

Joseph Niggl (1831–1892)

Wie oben schon erwähnt, blieb Joseph, der zweitgebohrene Sohn des gerade beschriebenen Ehepaares Joseph und Therese, in Wasserburg. Er wurde dortMaurer und heiratete am 4. Mai 1858 die Anna Prenauer aus St. Veit. Joseph und Anna wohnten zunächst in Haus 165, zogen dann aber in das Haus 230 um. Die beiden hatten vier Kinder, die aber alle schon im Kindesalter starben, so dass mit Joseph und Anna die Familie Niggl in Wasserburg zunächst ausstarb. Später zogen dann aber Mitglieder des Rotter Zweiges der Familie nach Wasserburg deren Nachfahren noch heute dort leben.

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Literaturverzeichnis